Und erlebbar war 2017 in München auch die Geburt eines Gedanken Dieter Burmesters, der anmutet wie ein Album eines Musikers, das posthum veröffentlicht wird. Wir erinnern uns gut, waren wir doch live bei der Weltpremiere vor Ort. Die Rede ist natürlich vom Burmester 175 Schallplattenspieler. Viele Jahre hatte Dieter Burmester daran gearbeitet, die Pläne wieder verworfen, dann wieder herausgeholt, getüftelt und gefeilt und es leider Zeit seines Lebens nicht geschafft diesen Traum zu verwirklichen.
Das hatte seine Frau und das Team um Entwicklungschef Stefan Größler nachgeholt und vollendet. Das Gerät ist aus einem vollen Aluminium-Block gefräst, hat eine Chrom-Front und einen Subsonic-Filter. Der Dreher kommt mit einem lebenslang wartungsfreien Laufwerk, wobei alleine der Dreher ohne Netzteil über 60 Kilogramm wiegt, was vermutlich vor allem dem Messingkern des Tellers und den vier Motoren (!) geschuldet ist. Ganz ehrlich? Das Gewicht sieht man dem Gerät nicht an. So euphorisch haben wir damals berichtet. Nun, drei Jahre später machen wir die Probe aufs Exempel. Sehr verehrte Damen und Herren, es folgen 32.000 Euro purer Analog-Overkill.
Spoiler vorab: Einen menschenschweren Plattenspieler packt man nicht alleine aus. Man baut ihn auch nicht alleine auf. Man probiert das am besten noch nicht einmal aus, selbst wenn den Paketen Schwerlast-Saugnäpfe beiligen, die locker ein Industriefenster oder einen amerikanischen Kühlschrank mit Ice-Dispenser davonheben können. Zuvorderst gilt: Beim Manövrieren mit dem Burmester 175 Plattenspieler immer Unterstützung holen! Das meinen wir todernst. Diesen Plattenspieler bewegt man nicht “mal so eben”.
Das vielversprechende, unschuldige Chrom, die wohltuend fein verarbeite Aluminiumoberfläche. Nein, nach Schwerstarbeit sieht der 175 Schallplattenspieler von Burmester nicht aus. Aber sie ist nötig, bevor die Genussphase beginnen kann. Natürlich übertreiben wir auch ein bisschen, denn die Wiedergutmachung durch ein spannendes Unboxing fühlt sich passenderweise Festlich- bis Weihnachtlich an. In unserer Redaktion kamen zwei etwa gleichgroße, jedoch unterschiedlich schwere Kisten aus Berlin an.
In der einen war der Unibody-Dreher mit vormontierten Motoren und Tonarm, in der anderen jede Menge Zubehör und kleine bis mittel-extrem schwere Bauteile des Burmester 175, zum Beispiel den Teller und das externe Netzteil. Darüber hinaus entdecken wir jede Menge umfangreiche Beigaben, wir eine Burmester Referenz-Schallplatte mit Messsignalen sowie auch Musik. Eine angenehm große Libelle zum austarieren wird mitgeliefert, ebenso wie ein Kunstdruck einer Bleistiftzeichnung des Plattenspielers. Vielleicht für den Nachttisch, der würde einem echten Burmester 175 Schallplattenspieler sowieso nicht standhalten. Customer Journey können die Burmester. Die einzelnen Ebenen der Bauteile sind großzügig beschriftet, zudem hilft eine ausführliche Bedienungs- und eine extra Aufbauanleitung.
Das Schönste an so einem massiven Auspack- und Aufbau-Vorgang aber ist, wenn man feststellt, dass sich der Koloss erst im Vorraum unseres Testlabors bequem gemacht hat und nach einer rudimentären Funktionsüberprüfung unter Strom und einer Bestandsaufnahme des Umfangs eigentlich auf den Weg zur nächsten Station in den Hörraum machen soll. Wo war jetzt der Kollege nochmal, der vorhin beim Auspacken geholfen hat? Zack, da ist ein halber Arbeitstag rum und das Workout hat man bereits hinter sich. Im AUDIO TEST Hörraum angekommen, bauen wir den Burmester Plattenspieler langsam wieder auf.
Zuunterst kommt eine schwere Sockelplatte mit drei Lagerpunkten. In diesen sitzen jeweils zwei starke Magnete, die sich abstoßen, was die Lagerpunkte entkoppelt, gleichzeitig sind sie von innen mit einer Form Gummi ausgegossen und verklebt, sodass die Lagerpunkte nicht einfach davon fliegen. Die Last des Burmester 175 Plattenspielers setzt die drei magnetischen Lagerpunkte unter Druck und die über 60 Kilogramm Plattenteller schweben über dem Sockel. Steht der Body in Waage auf dem Sockel kommen die Riemen um die vier Pulleys der Motoren, anschließend wird der Teller mittels Saug-Griff auf den Sub-Teller gehoben. Slip-Mat darauf, fertig. Stop halt, noch nicht ganz. Bevor wir hören können, kommt noch ein Netzteil hinzu.
Dafür bitte in etwa mindestens drei Höheneinheiten im Rack einplanen. Wir freuen uns im Übrigen sehr darüber, dass Burmester es schafft, sogar einem Netzteil die Anmut und die Pracht der HiFi-Ästhetik anzudienen. Wir sind der Meinung Netzteile brauchen mehr Beachtung. Sie spielen vor allem in der Audiowelt eine kritische Rolle, aber zum Beispiel auch in der Medizintechnik oder Netzwerktechnik. Eine hocheffiziente, rauscharme und störungsfreie Stromversorgung ist unumgänglich, wenn Power und Präzision gefragt sind. Zudem bietet es sich bei einem Plattenspieler geradezu an, extern zu arbeiten. Wir halten es auf jeden Fall für empfehlenswert Wechsel- oder Schaltstrom fern von empfindlichen Phono-Schaltungen und separat abgeschirmt zu platzieren.
Das Signal eines MC-Systems kann unter Umständen nur wenige Millivolt betragen und später würde jede Verstärkung eventuelle Einstreuungen nur noch vergrößern. Also gleich trennen. Lediglich ein mehradriges, schraubbares Kabel geht aus dem Netzteil zum Plattenspieler. Es treibt die Motoren aber auch die Phono-Vorstufe an. Denn aus dem Burmester 175 Plattenspieler kommt ein perfekt ausgeführtes, verstärktes und symmetrisches XLR-Signal. Damit tauchen wir direkt ein in unseren Balanced In des Verstärkers. Menschen die verstehen wie symmetrische Signalübertragung funktioniert und die Vorzüge schätzen, dürften in diesem Moment also um einige Kilo erleichtert sein. Worauf warten wir noch? Tonabnehmer in Position, Teller passt, mitgelieferte Kabel eingesteckt, Power On, die LEDs leuchten und wir trauen uns kaum ohne Handschuhe den großen Dreh-Schalter an der Front zu berühren und die Motoren in gang zu setzen. Ehrfurcht erfüllt den Raum.
Wir eröffnen den Tanz langsam aber bestimmt mit „Killing Me Softly“ in der Originalversion von Roberta Flack. Eine Aufnahme aus dem Jahr 1973, erschienen bei Atlantic Records. Über fünfzig Jahre alt ist diese Aufnahme mit den markanten Chören und dem seitlich positionierten Schlagzeug. Der 175 zieht straff vorwärts. Die Attitüde der Flack und der Drive des Songs profitieren ungemein davon. Genau die richtige Mischung aus klar, mellow, offen und warm. Die besonders tiefe Kick kommt satt gedrückt und hat eine herrlich-herzliche Natürlichkeit im Vergleich zu zeitgenössischen Sample-Produktionen. Der Burmester 175 Schallplattenspieler schafft es zudem den Song in genau der Farbe erstrahlen zu lassen, dass der Groove atmet.
Roberta Flacks Soul kommt brillant zur Geltung. Das Drehmoment des Masselaufwerks ist so groß, und das gegenseitige Ausbalancieren der vier Motoren funktioniert so gut, dass selbst bei aktivem Einsatz von Plattenbürsten keinerlei Schwankungen vernehmbar sind. Der Teller zieht einfach von dannen, keine Chance. Die Trägheit und Müdigkeit im Klang, die Masselaufwerken manchmal nachgesagt wird, hören wir hier beim 175 zu keinem Zeitpunkt. Ein weiterer Gast auf dem Teller, der die Welt bedeutet, war in unserem Fall die Scheibe „La Fete A Manu“. Ein Live-Mitschnitt eines Konzerts des französischen Musikers Manu Dibango aus dem Jahr 1988. Auf der Bühne teilweise bis zu 20 Personen, unter anderem die Soul Makossa Gang.
Wir wollen wissen: Wie differenziert kann der Burmester das Ambiente und die Bühne um das Live-Geschehen auflösen? Wie sehr wird die Energie und die Dynamik der Performance übertragen. Lassen wir uns anstecken von den afrikanischen Rhythmen oder den Call and Responses des Background Chores? Kurz: Es vergehen keine 10 Sekunden und wir sind mitten im Konzertfieber. Der Burmester 175 Schallplattenspieler ist energetisch hochgradig ansteckend, im positiven Sinne. Wir resonieren mit der Musik. Eine Impfung dagegen wird nicht empfohlen, da ausschließlich gesundheitsfördernde Auswirkungen auf den Probanden zu erwarten sind. Ein Plattenspieler als Fitnessgerät. Körperlich, aber auch und vor allem mental und emotional.
Der 175 Schallplattenspieler ist ein Extra-King-Size-, All-in-one-, keine Kompromisse, null Toleranz und Alles oder Nichts-Gerät. Das war schon immer der burmesterliche Anspruch und der bleibt es auch weiterhin. Das definiert und das polarisiert. Und das ist auch okay für uns. Entweder man hat das gewisse Kleingeld um sich so eine kunstvolle Technologie leisten zu können, oder aber man hat den Mut und den Ehrgeiz und eventuell vielleicht auch die nötige Portion positiven Wahnsinn, um auf diesen Plattenspieler hinzuarbeiten. So oder so, die Reise ist das Ziel einhundertprozentig Wert. Auch wenn es für die wenigsten unter uns erreichbar scheint.
Den Burmester 175 Schallplattenspieler gibt es im autorisierten Fachhandel zu kaufen. Zum Zeitpunkt unseres Tests lag der Preis bei 32.000 Euro (UVP). Aktuell liegt der Preis bei 39.340 Euro.
Anmerkung: Dieser Testbericht erschien zuerst in AUDIO TEST Ausgabe 8/2020
▶ Lesen Sie hier: Weltpremiere auf der High End: Burmester präsentiert 175 Schallplattenspieler
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Johannes Strom ist freier Autor, Journalist (DJV), Audio Engineer, Technologieberater und Musiker aus Leipzig. Er war viele Jahre als Spezialist im Eventbereich, klassischen Theater, Konzertbeschallung, bei Musicals und auf Kreuzfahrtschiffen im Einsatz. Er betreut Studioproduktionen aus Leidenschaft und High End aus Faszination. Johannes ist Lyrik-Liebhaber und Bücherleser (Papier, und so). Spielt Cello, Gitarre und Klavier und hört privat gerne über die Yamaha NS-Serie und Genelec 1031A.