Rapstar Eminem wird 50: Voller Zorn zur großen Kunst

2022-10-17 11:55:05 By : Mr. Forest Ren

Es gibt Momente im Leben, die für immer nachhallen. Für einen Elfjährigen in einer nordrhein-westfälischen Kleinstadt kommt so ein Moment im Frühjahr 2000. Im örtlichen Kaufhaus kann man über Kopfhörer in die angebotenen Musiksingles oder -alben reinhören.

Als plötzlich eine aufgekratzte Stimme einen – soweit für einen Zehnjährigen verständlichen – frechen Text grazil über den höchst eingängigen Beat reimt. „The Real Slim Shady“ von Eminem wird in den nächsten Tagen von früh bis spät durch das Wohnzimmer der Großmutter schallen. Vom Rap wird der Elfjährige nie mehr loskommen.

Eminem, zu diesem Zeitpunkt bereits ein Star, wird in den kommenden Jahren zum bedeutendsten Künstler dieses Genres aufsteigen – und trotz Skandalen und Suchtkrankheiten auch noch heute, als 50-Jähriger, Musik machen.

Geboren wurde Marshall Bruce Mathers III., wie Eminem mit bürgerlichem Namen heißt, 1972 in St. Joseph im US-Bundesstaat Missouri. Seine Kindheit und Jugend waren rau. Zärtlichkeiten oder ausreichend Geld gab es kaum einmal. Die Familie wohnte in Detroit, Michigan.

Nach dem Verfall der Automobilindustrie grassierten dort Armut und Gewalt, Marshall Mathers lebte beinahe ganz unten in der Gesellschaft. Über seinen abwesenden Vater urteilte der Rap-Superstar später: „Der Wichser kann mich am Arsch lecken.“ Und auch das Verhältnis zur Mutter wurde über die Jahre von Klagen und Hasstexten geprägt.

Die Schule interessierte Mathers nicht, er wiederholte mehrere Klassen, ehe er ganz hinschmiss. „Als Kind bin ich von meinen Mitschülern derart gehänselt worden, dass ich nur zu gerne mit einer Maschinenpistole durch die Klassen gezogen wäre“, erklärte der Rapper einmal im Interview mit der „taz“.

Diese unbändige Wut machte er sich als Jugendlicher zunutze: Seine Fähigkeiten am Mikrofon, sein überwältigend-aggressiver Stil – unglaublich talentiert und dann noch ein Weißer. Marshall Mathers war damals eine skurrile Attraktion in der Rap-Szene.

Eminems erstes Album „Infinite“ führte 1996 nicht zum Durchbruch. Doch als er ein Jahr später bei der „Rap-Olympiade“ in Los Angeles den zweiten Platz errang, wurde Hip-Hop-Übervater Dr. Dre auf ihn aufmerksam.

Dre nahm Mathers in seinem Label auf, das Album „Slim Shady LP“ mit dem Hit „My Name is“ wurde 1999 mit Eminems Talent und Dr. Dres Authentizität in der Szene zu einem der Alben, die im Nachhinein Megaseller genannt werden. Dazu hagelte es Grammys und MTV Video Music Awards.

2000 folgte mit der „Marshall Mathers LP“ das bis dahin am schnellsten verkaufte Rap-Album der amerikanischen Geschichte. Kontroverse Songs wie „The Real Slim Shady“ und „Stan“ verhalfen dem Album zum Kultstatus, bis heute gilt es als eine der einflussreichsten Platten des Genres.

Die frühen 2000er waren der absolute Höhepunkt in der Karriere Eminems: Nicht nur verkaufte er abermillionen Platten, inspirierte Jugendliche, Künstler oder Politiker, sein Schauspieldebüt in dem halbautobiografischen Film „8 Mile“ wurde 2003 sogar mit einem Oscar für die beste Filmmusik gekürt.

Dennoch blieb er auch in diesen Jahren kraft seiner Musik Anti-Establishment: roh, gewaltig, voller Zynismus – und dabei auf einem nahezu unerreichbaren technischen Level.

Der US-Schriftsteller David Foster Wallace schrieb bereits 1990 im Essay „Signifying Rappers“: „Rap ist eben kein Funk, Rock oder Jazz, und dieser riesige Crossover, der Getto-Musik über Radios in Gettos sendet, ist alles andere als eine Wiederholung früherer Crossover.“ Rap hat sich seit seiner Geburt in den 1970er-Jahren stets revolutioniert und ist bis heute weltweit eines der wichtigsten und innovativsten Musikgenres.

Und selbst Teenies kennen heute noch Eminem, den andere Rap-Superstars wie Kendrick Lamar, 50 Cent oder Lil Wayne als prägend für ihre eigene Laufbahn bezeichneten. Eminem verkörpert den von Wallace formulierten Crossover-Charakter und die Wandelbarkeit des Genres wie wohl nur wenige andere.

In den frühen 2000er-Jahren hatte der Künstler wegen seiner Texte und Auftritte bereits massive Kritik von Schwulen- und Lesbenverbänden (wogegen ihn Elton John in Schutz nahm, später gar als „wahren Dichter“ bezeichnete) oder von Politikern (Eminems Texte legten immer wieder mit scharfem Sarkasmus die vielen Scheinheiligkeiten im Leben US-amerikanischer Eliten offen, etwa beim Umgang mit Schusswaffen, Drogen oder Macht) überstanden.

Auch das Ehe-Aus mit seiner Jugendliebe Kim (die er noch Jahre später in Songs mit Hass überzog) schien ihm zunächst nichts anzuhaben.

Doch bereits ab 2003 kamen immer wieder Gerüchte um eine ernstzunehmende Medikamentenabhängigkeit des Rap-Megastars auf. Während er diese lang mehr oder minder erfolgreich verdrängte – 2004 erschien das stilistisch völlig neue und hochpolitische Album „Encore“ – stand er ab 2005 öffentlich zu seinen Suchtproblemen. Es folgte ein jahrelanger Kampf gegen die Abhängigkeit, musikalisch wurde es still um ihn.

Seit 2009 erscheinen in regelmäßigen Abständen wieder Werke von ihm, sie sind bürgerlicher geworden. Heute ist Eminem gealtert, jedoch im positiven Sinne. Seine Rap-Skills sind immer noch über jeden Zweifel erhaben. Die Wut der ersten Jahre – niemand war darin so glaubwürdig – aber gibt es nicht mehr.

Was bleibt, ist einer der besten Rapper aller Zeiten. Schon längst eine Legende. Jemand, der die Musikwelt so erschüttert und revolutioniert hat wie Kurt Cobain, Elvis Presley oder Jimi Hendrix. Ohne daran zu zerbrechen.